Interview mit Franziska Lagg

Franziska Lagg ist jüngstes Vorstandsmitglied des BGSP e.V. und brennt für das Thema der Sozialen Psychiatrie. Aber wie kann das genau aussehen?

Liebe Franziska, du bist seit ein paar Monaten Vorstandsmitglied im Berliner Landesverband der DGSP. Wie bist du zur BGSP gekommen und was machst du dort?

2017 habe ich im Rahmen eines dualen Studiums für drei Jahre in einer Wohnstätte für Menschen mit chronisch psychischen Erkrankungen gearbeitet. Dort bin ich vielen Dingen begegnet, die mich schockiert und gestört haben, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie noch so gibt. Wenn Bewohner zum Beispiel bei einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie zwangsfixiert wurden oder stark sedierende Medikamente bekommen haben.

Ich habe mich dann intensiver auch theoretisch mit solchen Themen befasst, unter anderem in Hausarbeiten für die Fachhochschule. Und auch als ich Freunde während eines Klinikaufenthalts besucht habe, hat mich einiges irritiert, z.B. als die Therapien gar nicht selber ausgesucht werden konnten, sondern an allen teilgenommen werden musste, egal, ob sie individuell als sinnvoll und hilfreich angesehen wurden.

Wir sind noch weit entfernt von einer inklusiven Gesellschaft, in der Menschen mit psychischen Erkrankungen die gleichen Teilhabechancen haben.

franziska lagg

Die damalige Leiterin der Wohnstätte war sehr engagiert in der DGSP und hat mich dann ein paar Mal mitgenommen zu Veranstaltungen und Treffen des Brandenburger Landesverbands der DGSP. Leider hat sich dieser Landesverband zu der Zeit gerade aufgelöst, da es zu wenige aktiv-tätige Mitglieder gab. Das war und ist wirklich sehr schade. Auf jeden Fall habe ich mich dann weiter mit Literatur etc. zu kritischen Themen beschäftigt, aber der Austausch darüber mit anderen hat mir immer sehr gefehlt.

Deshalb habe ich es dann Anfang letzten Jahres mal bei dem Berliner Landesverband probiert, das ist von Potsdam aus ja nicht so weit – und wurde dort sehr herzlich aufgenommen. Bei der letzten Vorstandswahl wurde ich dann motiviert, einfach mal im erweiterten Vorstand mitzumachen. Es gibt einmal im Monat eine Vorstandssitzung, bei der verschiedene Themen und Vorhaben wie zum Beispiel Stellungsnahmen oder Veranstaltungen besprochen werden – diese sind übrigens immer öffentlich, falls jemand mal dazukommen möchte. Vierteljährlich gibt es deutschlandweite Gesamtvorstandstreffen, wo ich jetzt auch schon einmal mit dabei sein konnte und regelmäßig gibt es sehr interessante Fachtagungen der DGSP.

Dieser Diskussions- und Lesekreis ist jetzt das erste Projekt, welches ich in der BGSP angestoßen habe. Ich finde es toll, dass der Berliner Landesverband dieses Projekt unterstützt, auch wenn es in Potsdam stattfindet. Und wer weiß, vielleicht finden sich ja auf diese Weise motivierte Menschen, sodass eventuell langfristig auch wieder ein Brandenburger Landesverband entstehen kann.

Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie – warum ist das heute noch nötig? Ist unsere moderne Psychiatrie nicht sozial?

Natürlich hat sich in der Psychiatrie und insgesamt im ganzen psychiatrischen Hilfesystem in den letzten 50 Jahren schon sehr viel verändert. Dennoch ist da noch viel Raum nach oben und es gibt immer noch viele Dinge, die verbessert werden müssen. Wir sind noch weit entfernt von einer inklusiven Gesellschaft, in der Menschen mit psychischen Erkrankungen die gleichen Teilhabechancen haben – da gibt es noch viele Barrieren, die Ausgrenzung verursachen, z.B. auf dem Arbeitsmarkt.

Noch in viel zu wenigen psychosozialen Einrichtungen sind Genesungsbegleiter*innen aus der EX-IN-Ausbildung fester Teil des professionellen Teams. Betroffene fühlen sich in der Klinik teilweise verpflichtet, Psychopharmaka zu nehmen, obwohl sie es lieber zunächst ohne probiert hätten, weil es als alternativlos dargestellt wurde – diese Liste könnte man noch lange weiterführen.

Vor allem brauchen wir eine positive Veränderungskultur, in der alle, die mit diesem Bereich zu tun haben, sich und die Gegebenheiten immer wieder reflektieren.

Franziska Lagg

Für Vieles gibt es auch schon gute innovative Modelle wie das „Weddinger Modell“ für Zwangsvermeidung in der Psychiatrie oder das niederländische Projekt „Kwartiermaken“ für mehr soziale Teilhabe und Inklusion. Solche Projekte und Ideen müssen unbedingt gefördert werden und dann natürlich noch flächendeckend in die Tat umgesetzt werden. Dafür ist auch politische Arbeit gefordert, um Ansprüche rechtlich zu sichern.

Wenn du dir etwas wünschen könntest für die deutsche Psychiatrielandschaft: was wäre das?

Vor allem brauchen wir – denke ich – eine positive Veränderungskultur, in der alle, die mit diesem Bereich zu tun haben, sich und die Gegebenheiten immer wieder reflektieren. Und, dass wenn einen etwas stört, man eben nicht denkt: Naja, das war schon immer so uns geht halt anscheinend nicht anders, sondern eine Vision für die Zukunft entwickelt, wie es im Idealfall irgendwann mal sein könnte. Dann muss man ja nicht gleich sofort den Weg dahin wissen, aber kann eben langsam Schritt für Schritt überlegen, was man ausprobieren kann, um dem ein Stückchen näher zu kommen. Sich über solche Gedanken und Ideen auszutauschen, ist denke ich ein erster, wichtiger Schritt.

Liebe Franziska, vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Anne Lück | Illustration: www.annelueck.com